Rede des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe in der Debatte zur Sterbebegleitung
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Orientierungsdebatte dient der Vorbereitung auf kontroverse Entscheidungen über die Zulässigkeit ärztlich assistierten Suizids oder über ein mögliches Verbot organisierter Selbsttötungsbeihilfe. Worüber wir uns nicht streiten – und es ist gut, dass dies heute an vielen Stellen festgehalten wurde -, ist die Notwendigkeit des Ausbaus der Hospiz- und Palliativversorgung in diesem Land. In diesem Bereich haben wir – auch aufgrund des Drängens aus der Zivilgesellschaft, allen voran der Hospizbewegung – in den letzten Jahren gemeinsam viel erreicht. Wenn ich mich als Gesundheitsminister für den Ausbau ebendieser Angebote einsetze, weiß ich mich von diesem Haus insgesamt unterstützt.
Frau Künast, Sie haben gesagt, dass noch wichtige Debatten vor uns liegen. Ja, darin gebe ich Ihnen recht. Nicht zustimmen kann ich allerdings der These, wir hätten das noch gar nicht erörtert. Es hat schon in der Vergangenheit zu Recht wichtige Debatten hierzu gegeben, und Wichtiges ist gemeinsam auf den Weg gebracht worden. Dabei und auch heute ist deutlich geworden: Wir sind uns darin einig, dass wir schwerstkranken und sterbenden Menschen zuallererst menschliche Zuwendung und bestmögliche Hilfe schulden. Jede und jeder von uns möchte selbst in dieser Weise gut begleitet sein Leben beenden können.
Hilfe zu geben und Hilfe zu empfangen, gehört zum Menschsein. Hilfsbedürftiges hat nichts Entwürdigendes. Deswegen müssen wir, glaube ich, jeder Haltung nach dem Motto „Ich möchte anderen nicht zur Last fallen“ entschieden entgegentreten.
Meine Damen, meine Herren, für die heutige Debatte und angesichts des öffentlichen Rufs nach Zulässigkeit aktiver Sterbehilfe ist es mir wichtig, festzuhalten:
Erstens. Die Rechtsprechung und der Gesetzgeber haben das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen und Patienten im Hinblick auf die Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen, etwa beim Thema Patientenverfügung, nicht nur anerkannt, sondern ausdrücklich gestärkt.
Zweitens. Es ist heute medizinisch, juristisch und ethisch unstrittig, dass bei hochdosierter Schmerzmedikation auch das Risiko einer lebensverkürzenden Wirkung in Kauf genommen werden darf. Diese Verkürzung darf nicht das Ziel der Medikation sein. Gerade diese Unterscheidung macht deutlich, in welcher Weise wir uns in diesem sensiblen Feld von unserem Vertrauen in die Ärzteschaft leiten lassen.
Dieses Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Arzt und den Patienten wollen wir schützen. Deswegen lehne auch ich jedes Sonderstrafrecht für Ärztinnen und Ärzte ausdrücklich ab.
In unserer Rechtsordnung sind Selbsttötung und auch entsprechende Beihilfehandlungen straffrei ‑ zu Recht. Hier schweigt das Recht zu Lebensdramen. Zugleich werden wir weitere Anstrengungen im Bereich der Suizidprävention unternehmen müssen.
Ich sage aber genauso deutlich: Eine Verklärung der Selbsttötung gleichsam als Akt wahrer menschlicher Freiheit lehne ich ab.
Deswegen möchte ich, dass die Selbsttötungshilfe nicht zur öffentlich beworbenen Behandlungsvariante wird, und setze mich als Abgeordneter für die Strafbarkeit organisierter Beihilfe zur Selbsttötung ein.
Ich begrüße es dabei ausdrücklich, dass die deutsche Ärzteschaft mit deutlicher Mehrheit auch den ärztlich assistierten Suizid ablehnt. Dies ist bei allen unterschiedlichen Formulierungen in einzelnen Ärztekammern der gemeinsame Kern der berufsethischen und berufsrechtlichen Positionierung der deutschen Ärzteschaft. Wir sollten dies ernst nehmen, wenn wir das Vertrauen in Ärztinnen und Ärzte beschwören.
Befürworter eines ärztlich assistierten Suizids argumentieren mit besonders dramatischen Einzelfällen; unser Kollege Peter Hintze hat dies heute eindrücklich getan. Diese müssen uns Ansporn sein, noch besser zu werden in einer schmerzlindernden Medizin, von der viele Expertinnen und Experten schon heute sagen, dass sie unerträgliches Leiden in nahezu allen Fällen verhindern kann. Wahr ist aber auch, dass Einzelfälle beschworen werden und dass gleichzeitig die Befürworter des ärztlich assistierten Suizids diese Möglichkeit auch auf Fälle der Demenz ausweiten wollen, mit dem Hinweis, da müsse die Entscheidung rechtzeitig und bei klarem Verstand erfolgen. Ich finde die Vorstellung schier unerträglich, dass der Schock über die Diagnose Demenz in Zukunft mit einem solchen Hinweis verbunden werden muss.
Ja, auch ich kann mir Grenzfälle vorstellen, in denen Ärztinnen und Ärzte um ihres Gewissens willen Normen brechen bzw. gegen sie verstoßen. Dann ist es Aufgabe der Rechtsanwendung, im Einzelfall dieser Gewissensentscheidung Rechnung zu tragen. Sie darf uns aber nicht Anlass sein, die Norm selber und damit den lebensschützenden Charakter unserer Rechtsordnung zu relativieren.
Herzlichen Dank.
Autor: http://www.bmg.bund.de
24.11.2014